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Titel
Bier und wir. Geschichte der Brauereien und des Bierkonsums in der Schweiz


Autor(en)
Wiesmann, Matthias
Erschienen
Baden 2011: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Anna Bähler

Der Historiker Matthias Wiesmann publizierte ein unterhaltsam geschriebenes und reich illustriertes Buch für alle historisch interessierten Bierliebhaberinnen und Bierliebhaber. Er zeichnet die Geschichte des Biers in der Schweiz nach, wobei der Schwerpunkt auf den Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert liegt. Dies macht Sinn, weil im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die Bierproduktion und somit auch der Bierkonsum hierzulande wenig verbreitet waren. Lieber trank man Wein, dessen Produktion von der Obrigkeit gefördert wurde.

In der Schweiz gab es im 17. und 18. Jahrhundert einige Bierbrauereien, die meist lediglich als Nebentätigkeit betrieben wurden. Die Stadtregierungen reglementierten trotzdem die Bierproduktion mit dem Ziel, Steuern abzuschöpfen und das Bier als potenzielle Konkurrenz gegenüber dem Wein zurückzubinden. Die erste grössere Brauerei im Staat Bern entstand um 1683 im Schloss Reichenbach bei Bern, das dem Gründer des bernischen Postwesens, Beat von Fischer, gehörte. Bier war wohl das Lieblingsgetränk seiner bayrischen Postknechte. Die Brauerei im Schloss Reichenbach bestand bis 1971 und diente danach als Depot der Brauerei Cardinal, später der Rugenbräu.

Erst im 19. Jahrhundert erfuhr das Brauereigewerbe in der Schweiz einen Aufschwung. Mit der Gewerbefreiheit entstanden neue Brauereien auch in ländlichen Gebieten, wo sie zuvor meist verboten gewesen waren. Die Bierbrauerei blieb allerdings ein schwieriges Gewerbe, das abhängig war von den Wetterbedingungen in den winterlichen Braumonaten. Es war Glückssache, wie viele der Sude gelangen und wie viele weggeschüttet werden mussten. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts verbesserte sich die Bierqualität, als das untergärige Pilsnerbier seinen Siegeszug durch die Welt antrat. Dieses musste allerdings bei tiefen Temperaturen vergärt werden. Deshalb bauten nun viele Brauereien kühle Felsenkeller und sie verwendeten Natureis, um das ganze Jahr hindurch Bier herstellen zu können. Je nach Winterwitterung war Eis jedoch ein rares Gut. Die Brauerei Hürlimann musste 1877 / 78 sogar Gletschereis aus Grindelwald beziehen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm der Bierkonsum in der Schweiz massiv zu auf Kosten des Weins, dem vor allem in den 1880er-Jahren Rebkrankheiten zusetzten. In diesem Jahrzehnt war der Weinkonsum noch doppelt so hoch wie der Bierkonsum, um 1900 trank die Schweizer Bevölkerung erstmals mehr Bier als Wein. In dieser Zeitspanne wurde der Brauereiprozess industrialisiert, die Bierqualität stabilisierte sich, und dank der Eisenbahn konnten die Rohstoffe Gerste, Malz und Hopfen günstig importiert und das Bier über weite Strecken zu der Kundschaft transportiert werden. Mit der Zunahme der Arbeiterschaft in den Städten vergrösserte sich zudem der Kundenkreis.

Um mit der Entwicklung Schritt halten zu können, investierten die Brauer in ihre Produktionsstätten. Die hohen Investitionskosten mussten durch den Bierverkauf kompensiert werden, was einen verschärften Wettbewerb um den Absatzmarkt bedeutete. Lange nicht alle Brauereien überlebten. Auf Initiative des Thuners Gottfried Feller gründeten 80 Schweizer Bierbrauer 1877 den Schweizerischen Bierbrauerverein (SBV), der sich den dringendsten Problemen in der Branche annahm. So erreichte der SBV die Erhöhung des Importzolls auf ausländisches Bier, und die Brauer dämmten über Kundenbindungen und Preisabsprachen den Wettbewerb ein. Den Arbeitern hingegen gelang es nicht, mit Aufrufen zum Bierboykott – auch in Bern – Brauereien zu besseren Arbeitsbedingungen zu bewegen.

Mit dem 1. Weltkrieg brach für die Bierbrauer eine schwierige Zeit an. Der Import von Gerstenmalz stockte, und die Verwendung von Ersatzstoffen wie Malz aus Reis, Mais oder Hirse verminderte die Qualität des Biers. In der Zwischenkriegszeit erholte sich die Bierbranche nur zögerlich, denn nun hatte sie mit einer neuen Ernährungslehre zu kämpfen, die auf mehr Vitamine und Ballaststoffe setzte, den Alkoholkonsum jedoch als ungesund ablehnte. Bier wurde zudem wegen des Imports der Rohstoffe nicht als schweizerisches Getränk wahrgenommen. Die erneute Verwendung von Ersatzstoffen sowie die Senkung des Stammwürzegehalts hatten während des 2. Weltkriegs zur Folge, dass sich viele Konsumenten wiederum vom Bier abwandten.

Nach dem 2. Weltkrieg erholte sich die Bierbranche rasch. Enge Zusammenarbeit und Absprachen unter den Brauereibesitzern bedeuteten für jeden Betrieb ein einigermassen gesichertes Einkommen mit dem vorhandenen Kundenstamm. Im Lauf der 1950er- und 1960er-Jahre veränderten sich die Konsumgewohnheiten. Die Verbreitung des Kühlschranks ermöglichte es den Konsumentinnen und Konsumenten, Bier zu Hause aufzubewahren und zu kühlen; ab 1958 tranken sie das Bier gerne auf der Wohnzimmercouch zum Fernsehprogramm. Aus der Berufswelt hingegen verschwand der Bierkonsum zunehmend, und wer mit dem Auto unterwegs war, musste auch in der Freizeit den Alkoholkonsum einschränken. Ab den 1970er-Jahren lernten die Konsumentinnen und Konsumenten zwar ausländische Spezialbiere schätzen, aber sie kauften auch vermehrt ausländisches Billigbier im Wegwerfgebinde bei den Grossverteilern.

Die Brauereien passten sich den neuen Entwicklungen an. Sie verkauften immer mehr Flaschenbier statt Fassbier. Die Brauerei Gurten hatte schon in den 1930er-Jahren das alkoholfreie Exbier entwickelt, ab den 1960er-Jahren kamen alkoholfreie Biere weiterer Produzenten auf den Markt. Einige Brauereien reagierten auf die veränderten Konsumentenbedürfnisse, indem sie zusätzlich zum Bier eigene Mineralwasser- und Süssgetränkemarken aufbauten.

Die Erweiterung des Biersortiments in den Läden und der Druck auf die Preise durch Importbier zwangen die Brauereien, ihre Preis- und Absatzpolitik zu überdenken und ihre Absprachen ab 1969 zu lockern. Es kam zu einer Konzentrationsbewegung in der Branche: Feldschlösschen beispielsweise erwarb 1970 die Mehrheitsbeteiligung am Gurtenbier, vorläufig ohne die Brauerei zu schliessen. Dazu kam es erst 1996. Viele andere kleinere Brauereien, die von einem Grossen der Branche geschluckt wurden, verschwanden hingegen schon bald von der Bildfläche. Innerhalb des Bierkartells kam es vermehrt zu Spannungen, denn die Branchenleader Cardinal und Feldschlösschen diktierten Veränderungen der Konvention, die vor allem ihnen dienten.

In den 1980er-Jahren fassten ausländische Bierkonzerne vorerst über die Romandie in der Schweiz Fuss. In der Deutschschweiz war dies schwieriger, weil der Markt stärker von den Kartellstrukturen geprägt war. Versuche von Schweizer Brauereien, Bier ins Ausland zu exportieren oder gar im Ausland eigene Brauereifilialen aufzubauen, waren von wenig Erfolg gekrönt, abgesehen vom Verkauf von alkoholfreiem Bier in die arabischen Länder. 1991 schliesslich brach das Bierkartell, von dem sich die grössten Schweizer Bierproduzenten keinen Vorteil mehr versprachen, auseinander. Damit war auch der Deutschschweizer Markt für die ausländischen Grosskonzerne offen. Vor allem Heineken und Carlsberg, welches um die Jahrtausendwende Feldschlösschen übernahm, expandierten in die Schweiz.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stammten rund 70 Prozent des Inlandausstosses von ausländisch beherrschten Brauereien, welche die Produktion auf die Standorte Rheinfelden, Sion, Chur und Luzern beschränkten. Schützengarten, Locher und Ramseier blieben als einzige selbstständige Schweizer Brauereien mit einem Marktanteil von je über zwei Prozent übrig. Die beiden Berner Brauereien Rugenbräu und Egger weisen einen Marktanteil von rund einem Prozent auf. Auch die kleine Brauerei Felsenau bewahrte ihre Unabhängigkeit. Nachdem in den USA schon gegen Ende der 1970er- Jahre zahlreiche «Microbreweries» als Gegenbewegung zu den Brauereikonzernen gegründet worden waren, setzte in der Schweiz in den 1990er-Jahren ein Boom der Kleinbrauereien ein. Wie das Burgdorfer Bier behaupten sie sich mit Spezialitäten und Lokalkolorit auf dem Markt. Grossen Erfolg haben auch viele Gasthausbrauereien, so zum Beispiel das Alte Tramdepot beim Berner Bärengraben.

Der Autor schliesst seinen Gang durch die Schweizer Biergeschichte mit einem aktuellen Serviceteil ab, der darüber informiert, wie Bier zu degustieren ist und welchen gesundheitlichen Wert es besitzt. Zudem finden sich hier Adressen rund ums Thema Bier und die Mitglieder des Schweizer Brauerei-Verbandes werden kurz vorgestellt. Eine kommentierte Bibliografie rundet das durchwegs gelungene Buch ab. Prosit!

Zitierweise:
Anna Bähler: Rezension zu: Wiesmann, Matthias: Bier und wir. Geschichte der Brauereien und des Bierkonsums in der Schweiz. Baden: hier und jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte 2011. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 4, 2012, S. 76-79.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 4, 2012, S. 76-79.

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